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Instone-Brewer, Research Fellow am Tyndale House in Cambridge,
iegt eine umfangrciche exegetische Untersuchung eines Themas vor,
das - wenn es auch biblisch nur am Rande verhandelt wird - wegen
seiner seelsorglichen Relevanz auf der Tagesordnung ist. Die
Scheidungsraten und die zunehmenden Vorkommen in chrislhchcn
Gemeinden indizieren, dass es auf lange Zeit so bleiben wird. Nach
Instone-Brewer haben Jesus und Paulus eine Scheidung ohne gültige
(Gründe verurleilt und von einer Scheidung aufgrund gültiger Gründc
abgeraten ("discouraged"). Jesus und Paulus haben die
alttestamentlichen Gründe für eine Scheidung bestätigt. Das Alte
Testament erlauble eine Scheidung wegen Ehebruch und wegen
Vernachlassigung ("neglect") oder Missbrouch ("abuse"). Jesus und
Paulus haben beide eine Wiederheirat nach einer ungülligen Scheidung
veruileilt, nicht jedoch nach einer gülligen Scheidung (S. IX). Dass
die Ergebnisse des Autors von der traditionellen kirchlichen
Auslegung abweichen (Scheidung mit Wiederheirat war überhaupt nicht
erlaubt, eine Trennung wurde nur im Fall des Ehebruchs zugestanden
und möglicherweise beim Verlassenwerden durch einen unglaubigen
Ehepartncr), liegt seines Erachtens daran, dass "das
Hintergrundwjssen und der Verstehenshorizont eines Lesers im ersten
Jahrhundert bereits im 2, Jh. vergessen waren und daher diese Texte
selbst von den Kirchenvätern falsch verstanden wurden" (S. IX).
Instone-Brewer will daher die neutestamentlichen Aussagen zu
Scheidung und Wiederheirat so verstehen, wie sie von ihren ersten
Lesern verstanden worden sind (kein überraschender Anspruch für den
mit historisch orientiertcr Exegese verlrauten Leser). Er beginnt
mit einem langen historisch-exegetischen Teil. Die Untertitel der
jeweiligen Kapitel fasspn die Ergebnisse zusummen: "Der alte vordere
Orient: Ehe ist ein Vertrag" (S. 1-19); "Der Pentateuch: Der
Scheidebrief erlaubt eine Wiederheirat" (S. 20-33; der Pentateuch
unterscheidct sich von der übrigen altvorderorientalischen
Gesetzgebung bezüglich der Rethte von Frauen in Ehe und in
Scheidung. Die Frauen Israels hatten weitergehende Rechte in der Ehe
und eine grössere Mögliehkeit, naeh einer Schcidung wieder zu
heiraten, Der iSchckiebrief, der einc Frau /.ur Wiedcrheirat
bcrcchtigtc, war anderswo unbekannt [S. 20]); ,,Die späteren
Propheten (Jes, Jer, Hes, Hos): Der Bruch des Ehegelübdes wird
verurteilt" (S. 34-58; diese Propheten zeichnen ein
übereinstimmendes Bild von Gott, der sich widerstrebend von Israel
seheidet, weil ,sie' andauend ihr Ehegelübde brieht. Auf Gottes
Scheidung fällt keine Schande, weil Israel und Juda Unrecht taten.
Maleachis Kritik an der Scheidung [2,14-16] gilt denen, die durch
Brechen ihrer Ehegclübdc eine Scheidung verursachen). "Die
zwischenlestamentliche Zeil: Die Rechte von Frauen stärken" (S.
59-84); "Rabbinische Lehren: Die Gründe für die Sdieidmig vermehren"
(S. 85-132; zu den Gründen zählen Unfruchtbarkeit, Ehebruch,
materielle oder emotionale Vernachlässigung. Frauen konnten ein
Gericht auffordem, ihren Ehemann zu überzeugen, sie zu entlassen,
wenn sie, unter Vernachlassigung litten. Eine Scheidung war kaum mit
Schande behaftet, und eine Wiederheirat wurde erwartet, jedoch galt
Wiederheirat nach einer ungültigen Scheidung als Ehebruch im
buchstäblichen Sinn [auf diesem Gebiet kann Instone-Brewer als
Spezialist gelten; vgl. Seine Studie Techniques and Assumptions in
Jewish Exegesis before 70 CE, Tübingen 1992]); „Die Lehre Jesu:
Scheidung nur aufgrund von biblischen Gründen" (S. 133-87; Ehe ist
monogam, sollte lebenslang sein; Scheidung ist nie obligato-risch,
sie sollte vermieden werden, es sei denn, der schuldige Partner
verweigert hartnäckig die Buße; Ehe ist optional, die Hillelitischen
Scheidungen „aus ir-gendeinem Grund" [vgl, Mt 19.3] sind
ungültig).
Nach „Die Lehre des Paulus: Biblische Gründe beinhalten
Vernachlässigung (neglect)" (S. 189-212) dürfen sich Christen in
ihrer Sclieidungspraxis nicht an der römischen Gesetzgebung
orientieren und sollen keine Scheidung verursa-chen. Wenn sie jedoch
von einem Nicht-Christen entlassen werden, der die Ver-söhnung
verweigert, steht ihnen die Wiederheirat offen, jedoch mit einem
Chris-ten. „Durch die Tatsache, dass Paulus die Gläubigen an ihre
Verpflichtungen zu materieller und emotionaler Unterstützung des
Ehepartners erinnert, wird deut-lich, dass er diese Verpflichtungen
als ein Teil ihrer Ehegelübde betrachtete -eine Ansicht, die er mit
allen anderen Juden teilte - und ihre Missachtung als einen gültigen
Scheidungsgrund ansah. Menschen, die gegen ihren Willen von ihren
Ehepartnern verlassen wurden, hatten aufgrund der Missachlung der
eheli-chen Verpflichtungen ein Recht auf Scheidung. Jedoch ist es
klar, dass Paulus -wie andere zeitgenössische Juden - zur Vorsicht
beim Gebrauch dieser Scheidungsgründe aufrief. Wenn jedoch Gläubige
sich um Versöhnung bemühten und erfolglos blieben, dann stand ihnen
frei zu akzeptieren, dass die Ehe beendet war und es ihnen - so die
stillschweigende Folgerung - freigestellt war, wieder zu heiraten"
(S. 212). „Nicht gebunden" sein (I Kor 7,15) heißt nach damaligem
Verständnis frei sein, "wieder zu heiraten", Paulus musste das Recht
auf Wiederheirat nicht betonen, da es sich um ein etabliertes Recht
einer geschiedenen Per-son sowohl nach jüdischem als auch nach
römischem Recht handelte. Die Schlussfolgerungen sind weitgehend:
Ein Gläubiger soll nie eine Scheidung ver-ursachen, weder durch die
Trennung vom Ehepartner noch durch die Vernachläs-sigung ehelicher
Pflichten, Wenn jedoch die Ehe trotz intensiven Bemühens scheitert,
hat er oder sie ein Recht auf Scheidung und ist frei wieder zu
heiraten (vgl. die andere Position bei G. D. Fee, The First Epistle
to ihe Corinthlans, 1987, S. 290-306 und den Überblick bei G. F.
Hawthornc, "Marriage and Divorce ...", DPL, S. 594-601 und A. C.
Thiselton, The First Epistle to the Corinthians 2000, S.
484-543).
Nach diesem Überblick untersucht Instone-Brewer die
gebräuchlichen, von der Bibel und dem Judentum übernommenen
Ehegelübde (S. 213-237; christli-che Ehegelübde beruhen auf Ex
21,l0f und Eph 5,29 und beinhalten das Ver-sprechen des Versorgens,
Bekleidens und der Liebe). Weitere Kapitel sind der Geschichte der
Ehescheidung gewidmet (S. 238-267; Überblick über die
Wirkungsgcschichte des „traditionellen Verständnisses" aufgrund der
Unkenntnis des Hintergrundes der Debatte Jesu mit den Pharisäern:
Außer bei Unzueht hat Jesus Scheidung verboten, Wiederheirat ist
nicht möglich) und den gängigen ver-schiedenen modernen Auslegungen
des biblischen Befundes (S. 268-299; gute Darstellung und
Würdigung). Unter der Überschrift „Institutionalisierte
Missversländnisse revidieren" schließt der Autor mit einer
Zusammenfassung, Diskussi-on der angewandten hermeneutischen
Prinzipien und pasloralen Schlussfotgemngen (S, 300-314; das Neue
Testament erlaubt Scheidung, jedoch soll sie, wenn irgend möglich,
vermieden werden. Scheidung ist nur bei gebrochenen Eheversprechen
gestattet. Der Entschluss zur Scheidung kann nur von der ver-letzten
Partei ausgehen. Ein Christ sollte sein Ehegelübde nie brechen und
versu-chen, einem bußfertigen Ehepartner zu vergeben, der so
gehandelt hat. Wenn diese Art von gültiger Scheidung stattfindet,
ist eine Wiederlieirat möglich [S. 314]).
Vor Übernahme und Anwendung dieser Erkenntnisse ist freilich zu
prüfen, ob der Autor seinem Anspruch gerecht wird und sein
Verständnis tatsächlich das des ersten Jahrhunderts ist oder ob
nicht - gerade bei den unweigerlich subjektiven Kategorien der
materiellen und emotionalen Vernachlässigung eines Ehepartners - ein
neuzeitliches, von der Romantik mitbestimmtes Einverständnis
zumindest teilweise Pate gestanden hat. Wie wahrscheinlich ist
beispielsweise die Annah-me, dass Paulus, der gerade im Ersten
Korintherbrief eine stark vom Alten Tes-tament geprägte christliche
„Gegenethik" auf dem Hintergrund der in Korinth blühenden
hellenistisch-philosophischen Popularethik entwickelt, bestimmte
As-pekte hellenistisch-römischer Ehe- und Scheidungsgesetzgebung und
-praxis stillschweigend als gültig voraussetzt? Dem hält
Instone-Brewer freilich entge-gen: „Zugegebenermaßen ist das NT über
eine Wiederheirat nach gültiger Schei-dung zweideutig und unklar.
Jedoch war die Wiederheirat nach einer Scheidung ein Grundrecht in
der Welt des l. Jh, und wurde oft als Verpflichtung angesehen. Daher
wussteil die Autoren des NT, dass sie ihre Lehre sehr klar und
eindeutig formulieren mussten, wenn sie das Gegenteil dieser
allgemein verbreiteten An-sicht vertreten wollten" (S. 299).
Wie historisch überzeugend ist die These, dass - bei aller
sonstigen Kontinui-tät zwischen erstem und zweiten Jahrhundert - das
eigentliche Anliegen der neutestamentlichcn Aussagen schon im 2.
Jahrhundert völlig missverstanden wurde, wenn neuere Studien zeigen
(z, B, S. G. Wilson, Related Strangers: Jews and Christians 70-170
C.E., Minneapolis 1995), dass es auch nach 70 n. Chr. nicht zu einer
absoluten Trennung zwischen Juden und Christen gekommen ist und
manche altkirchliche Exegeten nicht nur den selbstverständlichen
kulturellen Hintergrund der paulinischen Aussagen gut kannten,
sondern auch im klärenden Gespräch mit jüdischen Schriftgelehrten
waren?
Hervorzuheben ist die erfreulich starke exegetische Orientierung
dieser Studie, die man bei vielen anderen Beiträgen zum Thema
vermisst. Instone-Brewers Ar-beit, deren neuer Beitrag u. a. in der
Betonung des Eheversprechen s und seines Inhaltes liegt, sollte
zukünftig in der exegetischen Diskussion, aber auch in der
scelsorglichen Beschäftigung mit dieser Thematik berücksichtigt
werden und wird zum Nachdenken und Weiterarbeiten anregen (Als
neuere deutschsprachige Studie zum Thema vgl. F. Kleinschmidt,
Ehefragen im Neuen Testament Frank-furt 1998).
Christoph Stenschke
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